Ihre Geschichten

Mein liebes Publikum, Sie haben sicher auch die ein oder andere Geschichte, die Ihnen möglicherweise selbst widerfahren ist oder die sie einfach so mit sich herumtragen und hierher passen könnte. Ich freue mich jedenfalls, wenn Sie mir davon schreiben und vielleicht sogar Interesse daran haben, dass eine Ihrer Geschichten hier erscheint. Natürlich und wenn Sie möchten vollkommen anonym.

Schreiben Sie mir: mail@florarauh.de

 

Eine Geschichte von Janus Blattschneider:

Der Abend war noch warm. Es gab leichten Wind, nicht viel mehr als ein Entlangstreifen auf ihren Wangen. Sie dachte: wie sehr Simon ihre Wangen gemocht hatte. Bei den ersten Verabredungen hatte er jedesmal versucht, ihr ein Kompliment deswegen zu machen. Unbeholfene Versuche, aber sie hatte gespürt, daß er es ernst meinte, und sie hatte sich in ihn verliebt.

Der Wind rauschte jetzt in den Bäumen. Der Kleingartenverein lag vollkommen still. Seit ein chinesischer Investor die angrenzenden Parzellen gekauft hatte, waren Simon und Meike für sich gewesen wie auf einer einsamen Insel. Eine Nachtigall sang ganz in der Nähe, und Meikes Finger hörten allmählich auf zu zittern. Sie rauchte, und als wieder ein Windhauch über ihr Gesicht strich, wurde die Rauchwolke mitgerissen und verschwand in den Schatten zwischen den Bäumen. Die Sonne war auf den Horizont gesunken und färbte den Rand der Welt tiefrot. Durch die Farbe des Abendlichts sahen die Abdrücke fast schwarz aus, die Meikes Finger auf der Zigarrette hinterlassen hatten. Es war Simons Blut. Sie fuhr sich unwillkürlich mit der Zunge über die Lippen. und es schmeckte neben dem bittern Tabak ganz leicht nach Eisen.

Ein kräftiger Windstoß und in der Ferne bellte einsam ein Hund. Meike fröstelte und fing leise für sich an zu weinen. Weswegen hatten sie sich gestritten? Es war jetzt so wie eigentlich immer: sie konnte sich nicht mehr an den Grund für den Streit erinnern.

»Das ist doch nur wieder eine von deinen verrückten Ideen«, hatte Simon gesagt.
Meike hatte einfach weitermachen wollen mit den Mohrrüben für den Salat. Es war ihr egal, ob sie sich verstanden oder nicht – sie wollte sich bloß vorstellen können, daß sie gleich mit ihrem Freund in ihrem gemeinsamen Kleingartenhäuschen friedlich zu abend essen würde. Meike hatte also nichts gesagt. Simon würde gleich rausgehen, vielleicht mit irgendwem telefonieren oder irgendwas lesen. Sie hätte ihre Ruhe und beim Essen würden sie dann über irgendeine Belanglosigkeit reden oder Schweigen. Es war ihr gleich.
Aber er hatte gesagt: »Weißt du…« Meike hatte aufgehört, die Mohrrüben zu schneiden. »Weißt du«, hatte er gesagt, »du redest immer und redest und redest. Und dann erwartest du von mir, daß ich verstehe, was du willst. Ich hab’s satt. Ich hab’s wirklich satt.«
Meike hatte sich umgedreht. In Simons Gesicht war dieser betroffene, angestrengte Ausdruck gewesen, den er immer hatte, wenn er mäkelte. Ein Gesichtsausdruck voller jammernder Selbstgerechtigkeit. Simons Tonfall zu hören – es war, wie sich an Papier zu schneiden.

Flora Rauh

Simon war im Begriff gewesen, für weitere Vorhaltungen Luft zu holen – da hatte Meike zugestochen. Sie hatte das Gemüsemesser ja noch in der Hand gehabt: Und plötzlich steckte es in Simons Schulter.
»Verdammt«, sagte er, mehr bekam er nicht heraus. Er kreischte es vielmehr, wie ein erschrockenes Kind.

Meike hatte gespürt, wie die Messerspitze an Simons Schlüsselbein hängengeblieben war. Dann war das Messer über den Knochen geschrammt und tiefer eingedrungen, aber nicht sehr viel. Es kam etwas Blut.

 

»Was, was machst du?«, stotterte er, kreischte, weinte er. Er hielt den Griff umfasst und wollte das Messer herausziehen. Da hatte Meike dem Messergriff mit ihrem Handballen einen Schlag versetzt, so daß die Klinge tiefer in Simons Körper getrieben worden war. Ihr Freund schrie gellend auf.

Flora Rauh

Es liegen noch zwei Messer auf dem Holzbrett neben der Spüle. Meike nimmt eines – es ist viel größer als das erste – und sie macht ein Paar Schritte auf ihren Freund zu. Der weicht zurück, aber er wehrte sich nicht. Er versteht nicht, was geschieht. Oder die Verletzung in seiner Schulter macht ihn derart entrüstet, daß er es ablehnt, noch irgendwie zu reagieren. Meike rammt ihm das Messer in den Bauch. Sie lässt es stecken. Er taumelt zurück bis zur Wand und bringt bloß immer wieder ein gedehntes »Aahh« hervor. Kein Hilferuf, überhaupt kein Wort. Nur mehrmals »Aahh«, während ihm das Blut aus dem Bauch und die Hose herab läuft. Meike sieht zu, wie ihm die Knie weich werden. Er sackt ein wenig zusammen. Dabei verursacht das Messer in seinem Unterleib offenbar neuen Schmerz. Simon versucht, aufrecht stehen zu bleiben, bis es nicht mehr geht. Dann bricht er zusammen und beginnt zu schluchtzen.

Meike hat noch das dritte Messer, ein Filetiermesser mit einer biegsamen Klinge. Sie kniet sich neben ihren schluchtzenden Freund und sieht den merkwürdigen, schwer erklärbaren Ausdruck in seinen Augen. Er wehrt sich immer noch nicht, als sie die Messerspitze auf dem Raum zwischen zwei Rippen an seine Brust setzt. Sie steckt das Messer langsam hinein. Es zischt etwas, als sie bis zur Lunge vorgedringt und Simon beginnt, krampfhaft zu Husten. Sie muß ihn mit der anderen Hand an der Kehle packen, um ihn ruhig zu halten. Noch etwas tiefer in seiner Brust stößt sie auf einen Widerstand. Durch die Klinge überträgt sich jetzt ein schwaches Pochen in ihre Hand. Sie drückt das Messer weiter in den zuckenden Muskel und Simons Körper durchläuft ein Schaudern, dann erschlafft er.

Sie war auf die Füße gekommen und hatte sich gewundert. Als sie wieder etwas spüren konnte, erkannte sie, daß sie erleichtert war. Sie hatte sofort die Stille bemerkt, als das Jammern und Husten ihres Freundes aufgehört hatte. Alles, was sie sich für den bevorstehenden Streit zurechtgelegt hatte, war ihr entfallen. Sie brauchte es nicht mehr. In den Holzwänden der Kleingartenhütte knacke es. Aus der Kehle ihres toten Freundes entwich etwas Luft, als seine Muskeln ihre Spannung verloren. Sie sah ihm in die Augen und fragte sich, ob es tatsächlich so war, daß das Gehirn noch minutenlang weiterarbeitete. Sie trat vor die Tür, fand seine Zigaretten auf dem Gartentisch und rauchte.

Es mußte eine Nachtigall sein, deren schwebenden Gesang sie ganz in der Nähe hören konnte. Oder gab es noch andere Vögel, die bei Anbruch der Nacht sangen?